Dritter Platz: Tschosefin – eine Geschichte von Evi Blue

Evi BLUE

Evi BLUE

Evi hat den dritten Platz in unserem Schreibwettbewerb "New Year is beginning" belegt.

Sie ist Autorin und Ghostwriter und schreibt

* Kurzgeschichten
* Lyrik, Prosa
* Grabreden
* Kabarett
* ... und eigentlich alles

Tschosefin

von Evi BLUE

Wien Brigittenau. Am Donaukanal, unter der Gürtelbrücke. Ein Knall.

„Schleichts eeeiiich, es Xiiindl! I zag eich olle au!“. Die schrille Stimme einer adipösen alten Dame mit einem ebensolchen Mops on Lein fuhr wie ein Blitz durch die Schwefelwolke des detonierten Schweizer Krachers, die mit dem Uringestank vor der Graffitiwand zu einem Potpourri der Grauslichkeit verschmolz. Die Piratenwerfer offerierten der Echauffierten einen Blick auf deren zentrale Handglieder, bevor sie dümmlich lachend entschwanden. „Jessas – a Sandler a no! Überall nur Xindl“, grantelte die dicke Dame kopfschüttelnd lautstark weiter, als sie im Augenwinkel den bemannten Schlafsack entdeckte und samt Roll-Mops von dannen zog.

Unsanft von dieser Szenerie geweckt, öffnete die zierliche Gestalt im Schlafsack ein Stück weit den Zipp, um sich langsam aufzurichten. Verfilzte synthetische blonde Locken kamen zum Vorschein, darin zwei knallpinke Rastazöpfe und eine Feder. Dieses vermutlich einem Faschingskostüm entstammende Relikt war Tschosefins Heiligtum. Denn nach der Chemo haben ihre Haare beschlossen, in zeitlosem Käpt’n Iglo-Weiß ihr Comeback zu geben. Die Mittfünfzigerin war vom Leben gezeichnet. Doch der Pepi gab ihr die Superkraft, sich zumindest ab und an ein wenig feminin und noch nicht ganz zur Verwesung freigegeben zu fühlen, auch wenn sie sich letzteres manchmal wünschte. Ein nicht unproblematischer Wunsch, denn sie hat schließlich dankbar zu sein, den Krebs besiegt zu haben. Jenes tumoröse Scheusal, das ihr die ganze Misere eingebrockt hatte: Haare weg. Titten weg. Mann weg. Job weg. Kohle weg. Bude weg. Alk her. Cold turkey. Alk weg. Danke, Leben. Stimmung!

Tschosefin rieb sich schlaftrunken die Augen, ihr Genick schmerzte. Sie rauchte sich eine an. Krach! Ein weiterer Pirat flog ihr um die Ohren. „Gfraster unneddige!“ Mit ihrer Bonnie Tyler-Stimme klang das ebenso gefährlich wie sexy. Es war Zeit, sich nach einem einigermaßen sicheren Lager für die Silvesternacht umzuschauen. Die Gruft würde heute wohl heillos überfüllt sein. In ihren viel zu großen lila Webpelzmantel gehüllt, schnappte sie ihre Habseligkeiten und brach auf. Sie wollte mit dem 38A auf den Cobenzl fahren.

„Fini! Warte!“ Jenni rannte so schnell sie konnte. „Fini!!!“ Tschosefin drehte sich um. „Ja Jennifer – du bist heute aber rasch! Muhaha.“ „Der kam flach!“ „Sorry, war aufg‘legt! Mädel – du heute in Wien?“

Die beiden kennen einander nun vier Jahre. Jenni war damals 14. Tschosefin hatte ihren Dackel Bruno gefunden, nachdem dieser wegen der Silvesterknallerei panisch ausgebüxt war, und sich bemüht, die Besitzer ausfindig zu machen. Jenni war ihr so unendlich dankbar. Seither besuchte sie Tschosefin regelmäßig, auch wenn ihre versnobten Eltern das nicht goutierten. Jenni kratzte das allerdings nicht. Von Tschosefin fühlte sie sich immer verstanden und konnte so viel aus den Gesprächen lernen. Zu Silvester war Jenni allerdings seither immer am Land, weil es dort ruhiger war.

„Meine Eltern haben den Bruno mit zur Oma genommen. Ich hab ihnen gesagt, dass ich zu einer Freundin will. Mit 18 darf ich das ja schon!“ „Cool! Was habt ihr vor?“ „Nicht ihr. Wir!“ Tschosefin sah sie skeptisch an. „Wie jetzt?“ Jenni nahm sie bei der Hand. „Du kommst jetzt mit und wir feiern Silvester. Ganz einfach. Weil tomorrow new year is beginning!“ „Mausi, ich glaub, du bist a bissl spinning! Wenn deine Eltern das rausfinden, schickens die Kiwarei!“ „Keine Sorge. Sturmfreie Bude!“ „Ah eh“. Tschosefin war nicht ganz wohl bei dem Gedanken, aber irgendwie schien sie aus der Nummer nicht rauszukommen.

Sie betraten das Penthouse im 9. Bezirk. „Hüpf gleich mal in die Wanne zum Aufwärmen! Handtücher und Bademantel liegen bereit!“ Tschosefin wusste nicht, wie ihr geschah. So schnell konnte sie gar nicht schauen, saß sie schon im heißen Schaumbad mit Duftkerzen und Rosenblättern. Mit zittrigen Fingern nahm sie die Perücke ab, weil sie mit dem Kopf untertauchen wollte. Sie fühlte sich verletzlich und dennoch geborgen. So, wie wenn man sich in jemanden verliebt.

Als sie nach einer guten Stunde aus dem Bad kam, saß ein Mädchen bei Jenni in der Küche. „Das ist die Tessa, eine gute Freundin. Sie wird sich jetzt um deine Haare kümmern!“ „Äh…“ „Wir machen das schon!“ Tessa färbte und schnibbelte im Jamie Lee Curtis-Style, Jenni schminkte. „Hier – das sollte passen“. Jenni reichte ihr ein Kleines Schwarzes und einen Push-Up. Die Mädels applaudierten begeistert, als Tschosefin aus dem Ankleidezimmer kam. „Wahnsinn!“ Dann war der Moment gekommen, als Jenni den Spiegel enthüllte. Tschosefin war überwältigt. „Der wasserfeste Mascara war a guada Plan!“ Schlagartig wurde ihr klar, woher dieses Gefühl vorhin kam: Sie kokettierte mit sich selbst. Mit ihrem neuen Ich. Ganz ohne Perücke zum Verstecken.

Es wurde ein toller Abend. Zu später Stunde hakte sie nochmal nach. „Mädel, warum tust du das eigentlich für mich?“ Jenni zuckte mit den Schultern. „Karma-Punkte sammeln! Spaß. Schau: Ich liebe meinen Bruno und du hast ihn mir zurückgebracht. Ich wollte halt versuchen, dich ein bisserl anzustupsen, dass du merkst, wie toll du bist.“ „Na fein. Einmal nicht neben dem Donaukanal, und trotzdem schon wieder nah am Wasser“, schluchzte Tschosefin gerührt. Zum Schlag der Pummerin fielen die beiden einander in die Arme. Happy new year!